Neben den üblichen Jumpscare Eskapaden und Franchise Erweiterungen hat das Horrorgenre in den letzten Jahren seine inszenatorische Ausrichtung langsam, aber sicher nachjustiert. Aufstrebende Regisseure wenden sich mehr und mehr dem traditionellen Gefüge zu und überraschen mit wohldosierten Schockelementen, verpackt in spannende Geschichten, die die Urängste der Zuschauer ansteuern. Einer von ihnen ist der US-Amerikaner Robert Eggers, der 2015 mit „The VVitch“ das wohl düsterste Horrormärchen der Neuzeit erzählte und als einer der Vorreiter der „new wave of traditional horror“ gilt. Nun, vier Jahre nach seinem Debüt, kehrt Eggers zurück. Mit an Bord: Willem Dafoe, Robert Pattinson, eine Möwe und ein Leuchtturm. Nicht mehr, nicht weniger.

von Cliff Brockerhoff

Was in seiner grundlegenden Prämisse erst einmal für Skepsis sorgen könnte, entwickelt sich innerhalb der ersten Momente zu einer nostalgischen Reise an die Anfänge der Filmgeschichte. Schon bei seinem Debut fiel Eggers durch akribische Vorbereitung und seinen Hang zur Authentizität auf, welchen er nun abermals an den Tag legt. Zu der offensichtlich farblosen Gestaltung seiner Bildkompositionen gesellt sich bei „Der Leuchtturm“ ein außergewöhnliches Bildformat, das auf 35mm Film eingefangen und mittels Filter so hergerichtet wurde, dass es mit beinahe quadratischer Proportion an die allerersten Filme unserer Zeit erinnert. Ohne überhaupt zu wissen, worum es in der Handlung per se gehen soll, vermittelt das Werk also bereits auf den ersten augenscheinlichen Blick das Gefühl, dass der Zuschauer fortan etwas ganz Besonderem beiwohnen wird. Und genau das ist Eggers Zweitwerk geworden: besonders.

Besonders immersiv, besonders kreativ und vor allem besonders gut gespielt. Es ist kein Leichtes für den auf zwei Schauspieler reduzierten Cast, die komplette Handlung zu schultern, insbesondere wenn es sich dabei um zwei so unterschiedliche Charaktere handelt wie bei Dafoe und Pattinson. Umso befriedigender ist es zu sehen, dass gerade Pattinson eine schier unmenschliche Leistung abruft. Jeder Blick dringt unumwunden in die Seele der Zuschauer, jede Gestik ist auf den Punkt – wer immer noch am Talent des Briten zweifelt, sollte nach dieser wahren Demonstration verstummen. Gar wäre es nicht verwunderlich, wenn seine Darstellung mit der ein oder anderen Award Nominierung belohnt werden würde.

Abseits seiner handwerklichen Güte kann aber auch die Story nahezu vollends überzeugen. Die knapp zwei Stunden bieten trotz des maritimen Kammerspiel-Charakters keinen Platz für Langeweile. Wenn die Protagonisten nach und nach dem Wahnsinn verfallen und das Gespür für die Realität verlieren, überträgt sich diese Gefühlswelt eindrucksvoll auch auf die Betrachter, die durch die Methode des unzuverlässigen Erzählers immer wieder hinters Licht geführt werden. Apropos Licht; dieses hütet Thomas, so der Name von Willem Dafoes Charakter, wie seinen Augapfel und verbietet seinem jungen Begleiter den Aufstiegt zum Leuchtturm. Warum dies so ist und was „Der Leuchtturm“ eigentlich erzählen möchte: das bleibt lange, für manche vielleicht sogar bis zum Schluss, im Verborgenen. Neben Anleihen aus der Mythologie gibt es zuhauf nebulöse Sequenzen, altertümliche Dialoge und eine ganze Schiffsladung Seemannsgarn zu erleben; der Zuschauer wird nicht mit einer Welle an Erklärungen überschwemmt sondern ist selber in der Pflicht, sich Tropfen für Tropfen einer subjektiven Auflösung zu nähern. Ein Kniff, der dem verwöhnten Filmfan von heute die Zornesröte ins Gesicht treiben dürfte, für Cineasten allerdings ein Highlight des diesjährigen Kinojahres darstellen wird.

Fazit:

Bewegt sich „Der Leuchtturm“ zu Anfang noch in ruhigem Fahrwasser, brandet in der zweiten Hälfte ein tosender Sturm auf, der selbst die hartnäckigsten Zweifler unter sich begraben wird. Eggers Werk ist genau das geworden, was der Trailer suggeriert hatte und sollte ohne Mühe dafür sorgen, dass der Stern des US-Amerikaners zeitnah heller erstrahlen wird als jeder Leuchtturm es zu leisten im Stande wäre. Atmosphärisch, kryptisch, intensiv – hier verwachsen bewährte Elemente mit neuen Stärken zu einem Gebräu, das den gestreckten Rum, mit denen die Wärter ihre trockenen Kehlen geölt hatten, letztlich wie zuckerfreie Limonade erscheinen lässt. Der helle (dunkle) Wahnsinn!

Bewertung:

9 von 10 Punkten

Bilder: ©Universal Pictures / A24